Die Luft ist raus: wir trennen uns – die dritte Woche (12.-18.09)
Markus und ich haben alles versucht, doch es geht nicht mehr. Ich habe ihm mehrere Chancen zur Wiedergutmachung gegeben – aber es hat nicht gereicht. Ich muss einen Schlussstrich ziehen. Ein neuer Mantel für meinen Vorderreifen muss her.
Nach weiteren Reifenpannen war es uns zu blöd. Die Innenschläuche werden nach spätestens zwei Tage langsam platt, aber eine eindeutige Ursache finden wir nicht. Samstags in der Stadt Narbonne sind wir Fahrradgeschäft für Fahrradgeschäft abgefahren, um einen neuen, dickeren Mantel mit Pannenschutz zu kaufen. Und der neue Reifen wurde sonntags gleich auf die erste Probe gestellt. Ich hatte zwei Dornen in meinem Reifen stecken. Aber jetzt erzählen wir euch mal alles von Anfang an.
Erst einmal runter kommen
Am dritten Montag unseres Abenteuers ging es mit dem Rad von der Côte d‘Azur weg und rein ins Landesinnere. Wieso wir das gemacht haben? Wir wollten uns vom Eurovelo 8 (Europäischer Radweg, den wir bis nach Südspanien folgen werden) navigieren lassen und der führt nunmal von der Küste weg und durch die Provence. Auf den wenig befahrenen Straßen bzw. Radwegen lässt sich gut radeln, auch wenn die Beschilderung des Eurovelos hin und wieder zu wünschen übrig lässt. Es tut gut, mal uninteressante Straßen zu fahren. Unser Adrenalinspiegel sinkt und wir kommen immer mehr zur Ruhe. Das Treten in unsere Pedale funktioniert wie von selbst und wir bekommen den Kopf frei. Würden wir jedoch behaupten, dass sich der Weg in die Provence nicht auszahlt, würden wir lügen. Für den Wasserfall in Sillian de Cascade steigen wir vom Sattel und knipsen ein Foto.
Merci Joelle et Pierre!
Gottseidank konnten wir unsere fünf Reifenpannen von letzter Woche nicht mehr toppen. Dafür hatte Markus diese Woche einen Sturz. Wir folgten einem falschen Euroveloschild und in der Abbiegung rutschte er mit seinem Rad im Schotter aus. Alles ist gut gegangen, er war mit einer so geringen Geschwindigkeit unterwegs, dass er lediglich einen „Schotterausschlag“ davontrug. Die Wunden sind mittlerweile schon am Abheilen und Markus kann seinen Handballen wieder vollständig beim Fahren belasten.
Damals ging es mit einem provisorischen Verband für den rechten Handballen auch schon weiter. Das heutige Ziel, das Haus zweier warmshowers, lag noch mehr als 80 km entfernt. Ohne ausgiebige Mittagspause strampelten wir Kilometer für Kilometer ab, um dann mit Joelle und Pierre Abend zu Essen, Wein zu trinken, die beste Route für den nächsten Tag ausfindig zu machen und gemeinsam zu Ukulelebegleitung von Joelle „Sur le pont d’Avignon“ zu singen. Wir vergessen all unsere Sorgen, die brennenden Wadeln und Markus seine Schmerzen. Wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Bei Pierre und Joelle fühlen wir uns gut aufgehoben.
Wir haben die Kräuter der Provence nicht gefunden, dafür eine Grotte in Marseille
Wie gut es sich in einem Bett schlafen lässt, haben wir schon ganz vergessen. Doch wie gut wie wir auch geschlafen haben, unsere Stimmung war am Boden. Der Blick aus dem Fenster zeigte warum. Es schüttete aus Eimern und laut Wetterbericht das noch den ganzen Tag lang. Getrübt packten wir mit dem Wissen, vor uns liegt ein harter regnerischer Tag, unsere Sachen. Wir werden von oben bis unten nass werden und können nur hoffen, dass wir eine Unterkunft am Weg finden oder wir das Zelt bei einer Regenpause möglichst trocken aufstellen können. Uns blieb keine andere Wahl – oder doch? Joelle kam ins Zimmer und fragte uns, ob wir nicht noch eine Nacht bei ihnen schlafen wollen. Was haben wir nur für ein Glück!
Vormittags nahm uns Pierre in ein unfassbar riesiges Lebensmittelgeschäft mit. Hier kann man sich schon mal zwischen der großen Fleisch-, Joghurt- und Käseauswahl verirren. Glücklicherweise hatte das Geschäft auch Semmelbrösel, Rosinen, Mehl und Äpfel im Sortiment. Denn an diesen Abend bereiteten wir Apfelstrudel für unsere zwei Gastgeber zu. Und davor erkundeten wir mit der ehemaligen Marseillerin Joelle ihre Heimatstadt, aßen die traditionell gebackenen „les navettes“ (berühmtes Biscuitgebäck in Form eines Schiffs aus Marseille) während wir durch die dichten Gassen schlenderten. Und abgerundet wurde dieser Stadtbesuch mit dem Museum der Marseiller Grotte, die Höhlenmalerei von über 20.000 Jahren wiedergibt. Marseille mit einem echten Local zu besichten, war super.
Wir sind unendlich dankbar trockenen Unterschlupf gefunden zu haben und eine sehr schöne Zeit mit unglaublich interessanten Gesprächen mit unglaublich netten Menschen verbracht zu haben. Wir hoffen, dass wir Joelle und Pierre auch einmal in Österreich beherbergen dürfen.
Jetzt heißt’s: Rauf auf den Sattel
Mit erholten Muskeln fuhren wir donnerstags weiter nach Arles. Den Weg zu dieser kleinen, süßen Stadt zu finden, war garnicht so leicht. Östlich von Arles ist ein großes Militärgebiet, das man natürlich nicht betreten sollte. Google Maps kennt aber anscheinend die Regeln nicht und sagt, wir sollen querfeldein fahren. Stattdessen Google Maps zu folgen haben wir uns dann doch lieber den eigenen Weg über die Bundesstraße gebastelt.
Zu Mittag wurde es uns zu heiß, es war Zeit für eine kurze Rast an einem Teich. Gestärkt geht es weiter in die Stadt Arles, die Überreste der römischen Antike zu bewundern. Es is schön, am Sattel zu sitzen, in die Pedale zu treten und die fließenden Übergänge der Landschaften zu sehen. Am Morgen blickten wir an hohe Felswände hinauf und nachmittags nach Arles strampelten wir durch den Nationalpark Carmague, ein Feuchtgebiet mit viel unberühter Natur.
Meer, Meer, Meer
Am Kanal des Flusses Rhône sind wir am nächsten Morgen Richtung Meer gestartet. Doch davor müsste Markus noch seinen Vorderreifen reparieren, er hatte einen Patschen. Das Reifenwechseln haben wir jetzt schon perfektioniert, jeder von uns zwei weiß welche Aufgaben von wem, wann übernommen werden. Zeitlich sind wir jetzt ein paar Minuten früher fertig als bei unserem ersten Patschen. Doch die Minuten, die der Schlauchwechsel beansprucht sind für uns zu viele. Jeder Platten reizt unsere Nerven, aber vielleicht ist es ja dann beim 20. nicht mehr so.
Nichtsdestotrotz müssen wir die Patschen beheben, denn wir wollen ja noch bis Südspanien kommen. Und wenn wir wieder am Rad sitzen, vergessen wir ohnehin die Sorgen, die wir hatten. Außerdem wussten wir, dass wir an diesem Tag das Mittelmeer wieder sehen werden, da lässt es sich gleich nochmal leichter radeln. Der Abend war dann eines unserer Highlights. Den Strand nach Sete hatten wir für uns alleine und spätestens hier wurde uns beide bewusst, wieso wir diese manchmal sehr anstrengende Reise machen. Nackig im Meer bei Sonnenuntergang schwimmen – was gibt es schöneres?
Alles schöne hat auch etwas weniger schönes
Die Nacht verbrachten wir am Strand ohne Zelt und nur mit unseren Isomatten und Schlafsäcken. Bei Meeresrauschen schliefen wir schnell ein und bei dem saukalten Wind, der die ganze Nacht wehte, dementsprechend oft in der Nacht auf. Doch dass nehmen wir in Kauf, denn direkt am Meer zu schlafen ist einzigartig. Am Morgen gingen wir den Strand bei Sonnenaufgang spazieren und verließen das Meer. Entlang der Küste gibt es nicht durchgehend eine Straße oder Radweg sondern wir müssen landeinwärts fahren um einen Art See zu umfahren. Und in einem kleinen Dorf passierte es wieder mal. Mein Vorderreifen war so gut wie platt. Alle paar Kilometer pumpten wir mit unserer Minipumpe 3 bar rein, um ein Stückchen näher zur Stadt Narbonne zu kommen. Den Schlauch wechseln war für uns keine Option mehr, es war Samstag und spätestens Montagmorgen hätte ich wahrscheinlich den nächsten Platten kassiert. Es waren genug kaputte Schläuche. Der Plan war in Narbonne einen neuen Mantel zu kaufen, um den Pannen endgültig adé zu sagen.
Ab dann scheint es ja so als könnte wieder alles easy cheesy laufen – im Prinzip war es auch so. Kleinigkeiten (Tagesplan aufgrund vom Platten durcheinandergeworfen, in der Fahrradtasche ausgeronnenes Schokoladenjoghurt, Meer indem man aufgrund des geringen Meeresspiegel nicht schwimmen kann, Sand der überall ist) haben insbesondere Markus aber dennoch ein wenig zur Verzweiflung getrieben.
Slow down
Wenn viel schief läuft, sind wir froh, dass wir uns die Zeit selbst einteilen können und keinen Stress haben, an Tag X im Süden Spaniens anzukommen. Ein Nachmittag am Meer kann den Motivationsspiegel bei mieser Laune ordentlich in die Höhe treiben. Deshalb standen am Sonntag nur 50 km nach Argeles-sur-Mer am Programm. Danach sprangen wir wie kleine Kinder in die hohen Wellen, die der Wind an Land brachte. Es war die richtige Entscheidung Tempo rauszunehmen und die Seele baumeln zu lassen. Außerdem ist Argeles-sur-Mer kur vor den Ausläufern der Pyrenäen. Einige Höhenmeter stehen uns also bevor und da ist Energie tanken nicht schlecht. Aja und ein weiterer Motivationsfaktor ist sicherlich auch, dass mein Vorderreifen trotz zweier Dornen gehalten hat. Vielleicht waren es ja wirklich unsere letzten Platten.
Und übrigens, wer am Anfang dachte zwischen Markus und mir „ist die Luft raus“ – nein ganz im Gegenteil. Es geht uns beiden besser denn je (auch wenn wir uns hin und wieder anpfauchen).
Ihr Lieben ! Danke Andrea für deine lebendigen Schilderungen ! Ich leide bei jeder Panne mit Euch mit und Markus kann auch froh sein immer seine Krankenschwester mit zu haben ! Bitte aufpassen !!!! Danke auch für die netten Photos ! Frankreich ist einfach immer super und das nette Paar bereichert eure Eindrücke ! Zwischenzeitlich seid ihr ja schon in Barcelona und ich denke dass es auch gemütlicher geht ! Spanien hat auch viele schöne Destinationen Alles Liebe für Euch Beide Martina und Rudi
Liebe Mama/Martina und lieber Rudi,
Die Wunden sind schon ganz verheilt. Jetzt müssen sie noch in die Sonne, denn Markus ist so braun geworden, dass die Wunden direkt hervorstechen. 🤭
Liebe Grüße auch von uns,
Andrea und Markus