Am Reisen – die fünfte Woche (26.09-02.10)
Voller Energie und doch irgendwie kraftlos hat die fünfte Woche gestartet. Nach den gemütlichen Tagen rund um Barcelona hat unser Popo eine Weile gebraucht, bis auch er gescheckt hat: wir radeln weiter, denn wir sind noch lange nicht am Ziel.
Obwohl wir physisch vielleicht nicht on top waren, die Psyche freute sich auf die Blicke auf schöne Buchten und Landschaften. Wir saßen (endlich) wieder am Rad. Doch irgendwie hatten wir uns beide mehr erwarten. Wir dachten, wir könnten jetzt ausgeruht nach einigen Trainingswochen locker über 100 Kilometer am Tag zurücklegen, aber die bittere Wahrheit war: Um drei Uhr nachmittags sind wir beide fast vom Rad gefallen. Körperliche Erschöpfung obwohl uns keine harten Anstiege oder Gegenwind behindert hätten – echt mies. Also muss eine Planänderung herbei, der nächste Campingplatz wurde anvisiert. Den Abend verbrachten wir am Meer und aßen Couscous (so wie jeden Tag). Das Zeltaufbauen war prinzipiell auch so wie jeden Tag, nichts besonders, außer dass uns der Nachbar seinen Hammer geliehen hat, damit wir Heringe in den harten Boden bekommen. Warum der Nachbar darauf behaarte unser Zelt wetterfest zu fixieren, verstanden wir erst um drei Uhr in der Nacht. Der Wind rauschte mit unglaublicher Kraft durch unser Zelt.
Gegenwind wird irgendwann mal zu Rückenwind
Unsere Außenplane hätten wir ohne Heringe wahrscheinlich im Meer suchen können. Haben wir aber zum Glück ja nicht müssen. Die restliche Nacht wachten wir deutlich öfter auf, aber erst richtig mühsam war das Radfahren. Bei so starken Windböen, die uns viel zu oft zum Stehenbleiben zwangen, kapitulierten wir schon nach knapp 25 Kilometer. Die Mittagspause wurde viel früher und viel ausgiebiger vollzogen. Jedoch müssen wir weiter. Hier zu verweilen bringt nichts, der Wind wird laut Wetterbericht noch den ganzen Tag stürmisch umherwehen. Und sieheda, ein bisschen Rückenwind und gute Straßen haben uns dann noch 80 Kilometer weit gebracht. Hätte uns am Anfang des Tages wer gesagt, dass wir so weit kommen, hätten wir es als Ding der Unmöglichkeit bezeichnet. Für die harten Kilometer an diesem Tag wurden wir mit einem 1-A Sonnenuntergang an einem Strand, der zu meinen Favoriten zählt, belohnt.

Mediation pur
Wer hätte geglaubt, dass eine Bundesstraße eine Meditationsoase sein kann? Die Nationalstraße N-340 von Spanien verläuft parallel zur Autobahn und wird nur von sehr wenigen Autofahrern genutzt. Links und rechts der Straße sind meist Olivenplantagen, dahinter Berge und hat neben den zwei Hauptspuren Pannenstreifen, die von uns Radlern genutzt werden dürfen. Am Weg nach Castellon de la Plana treten wir bei angenehmer Steigung in die Pedale und genießen die Aussicht auf das Meer bei der kurzen, steilen Abfahrt. Jede/r von uns beiden fährt sein eigenes Tempo und kommten in eine Art mediative Phase. Um einem herum ist alles ruhig, kein Wind weht und hin und wieder fährt ein Auto vorbei. Auf den ersten Kilometern begleiten uns noch unsere Gedanken. Allmählich verschwinden auch diese – unsere Köpfe sind jetzt frei.

Das Gartenhäuschen von Guillermo
Fast kitschig verlief der Mittwoch noch weiter. Guillermo, ein ca. 65 Jahre alter Herr, lud uns in seine kleine „Casita verde“ zum Übernachten ein. Zuerst erklärte Guillermo uns, wie das Feigenernten funktioniert – auf spanisch. Nur die lilafarbenen mit weißen Streifen durchzogenen Feigen dürfen gesessen werden. Und übrigens soll man nicht die ganze Feige sondern nur den oberen Teil essen, unten verstecken sich nämlich die Samen für neue Feigenbäume. Kurze Zeit später überließ er uns sein kleines aber feines Reich. Markus pflückte noch weitere Feigen, die wir anschließend beim Sonnenuntergang verspeisten. Am Boden des Häuschen breiteten wir unsere Matten aus und schliefen tief und fest. Dieses Gartenhäuschen gehört zu unseren Top-Schlafplätzen.

Valencia – die mediterrane, gemütliche Stadt
Morgens ausgeschlafen ging es dann zu einem Campingplatz in der Nähe von Valencia. Nachdem wir unsere Kleidung und uns selbst gewaschen hatten, sind wir mit der U-Bahn in die Stadt gefahren. Zu Fuß ließen wir den Flair der Stadt auf uns einwirken. Die Altstadt hat mit ihren großen Markplätzen und eindrucksvollen Gebäuden einiges zu bieten und die Aussicht vom Stadtturm über die Stadt ist ziemlich spektakulär. Dort hinauf zu kommen, war jedoch für unsere Oberschenkel besonders anstrengend.

Nicht nur die Altstadt sondern auch das moderne hippe Künstlerviertel ist sehenswert. Freitagmorgen legten wir hier noch einen kurzen Stopp ein, um das eine oder andere Gebäude von außen zu betrachten. Das viele Weiß an den hohen Fassaden und das Wasser unten ergeben eine gute Kombination – uns gefällts hier.

Ein Zuhause für alle
Doch allzulange halten wir uns nicht auf, denn in Cullera warten neue Gesichter auf uns. Unsere Übernachtungsmöglichkeit wird ein selbstverwaltetes Haus sein. Allan, der Besitzer des Hauses, ermöglicht Reisenden sein Haus „kostendeckend“ zu nutzen. Es wird als Co-Living bezeichnet. Wir schlafen in einem Schlafsaal und benützen die Küche sowie die Terrasse gemeinsam mit Gleichgesinnten. Selbstverständlich haben wir die Räume so verlassen, wie wir sie auch vorgefunden haben, denn bei solchen Konzepten wird das Aufeinander-Rücksicht-Nehmen groß geschrieben. Das Haus finanziert sich mithilfe von den Geldbeträgen der Gästen, jede/r zahlt soviel wie er kann und will und die Überschüsse werden für Renovierungsarbeiten ausgegeben. Unser Lieblingsplatz in diesem Haus ist die Terrasse, auf der wir viel Zeit verbracht haben. Sie hat uns einen tollen Blick über die kleine Stadt geboten.

Wir wollen es nochmal wissen
Wir beiden mögen den Spirit in diesem Haus und überlegen sogar eine zweite Nacht hier zu verbringen, jedoch wollen wir vorankommen. Irgendwie haben wir das Gefühl des Stillstandes, obwohl wir eh jeden Tag Radfahren. Doch der Punkt auf der Landkarte bewegt sich nicht so weit Richtung Süden, wie wir es gewohnt sind. Und außerdem sind wir, was das Wildcampen angeht, eingerostet. In Spanien haben wir auf das Angebot der vielen Campingplätze zurückgegriffen und hatten hin und wieder ein Dach über dem Kopf. Unser Tagesziel für Samstag wird deshalb hoch gesteckt. 110 Kilometer mit ca. 1.000 Höhenmetern werden wir auf uns nehmen und wir wollen wieder frei in der Natur stehen.
Die Bundesstraße führte uns über die Berge zu Benidom, einer kuriosen Stadt. Die Skyline könnte sich auch in New York City befinden. Die nächste Stadt ist ruhiger, ein guter Platz um am Stadtrand unser Zelt aufzuschlagen. Hätten wir gewusst, dass das auch die Heimat von Wildschweinen ist, hätten wir es sein lassen. In der Abenddämmerung kurz vor dem Einschlafen wurden wir durch ihre Krunzgeräusche wieder hellwach. Angehört hat es sich wie eine ganze Schar an Wildschweinen, wir haben sogar schon gegoogelt, was Mann und Frau bei einem Wildschweinangriff machen sollte: Weglaufen. Weglaufen mit Zelt ist aber sicher etwas schwieriger.

Hallo Campingplatz!
Keine Sorge, von den Wildschweinen wurden wir in der Nacht nicht angegriffen – wir schliefen recht gut. Aber das Aufstehen um 7 Uhr sind wir nicht mehr gewohnt. Dennoch zahlt es sich aus. Denn den Sonnenaufgang im Meer nackig schwimmend zu sehen ist nice (=cool). Früher als sonst kommen wir zum Radfahren und machen Kilometer für Kilometer gut. Jedoch müssen wir auch früh Halt machen. Wären wir weiter gefahren, wären wir zu einen Küstenabschnitt gekommen, wo kein geöffneter Campingplatz in der Nähe war. Und wir hätten an diesen Tag gerne eine warme Dusche gehabt. Somit blieb uns nur die Möglichkeit den letzten Campingplatz auf unserer Strecke zu nehmen. Die unaufgebrauchte Energie in unsere Oberschenkel behalten wir uns lieber für die kommende Woche auf und genießen den Nachmittag am Strand. Nächste Woche werden wir hoffentlich die Stadt Malaga erreichen. Hoffentlich, weil wir davor noch einige Berge überwinden müssen und es könnte schon sein, dass wir länger brauchen. In Malaga wollen wir uns nochmals eine Pause gönnen. Garnicht sosehr wegen unserer physischen Verfassung, sondern weil wir unsere weitere Reise planen müssen.
Wir haben jetzt bereits über 2.000 Kilometer zurückgelegt und 1.000 Kilometer liegen vor uns. 10 Patschen hatten wir, statistisch gesehen, können wir den Schlauch also nochmals fünf Mal wechseln. 13 Nächte verbrachten wir auf Campingplätze, fünf in Hostels oder Airbnb und durch warmshowers durften wir Andrea, Guillermo, Joelle und Pierre kennen lernen. In den 31 Tagen haben wir soviel Gutes erfahren, wobei es immer wieder Momente gab, wo wir geflucht haben. Ans Beenden unserer Radreise haben wir jedoch noch nie gedacht, dafür macht uns das Fahren zu viel Spaß!

Super und spannend geschrieben! Viel Glück und KEINEN Patschen für die nächsten 1000km. LGR EGi
Herzlichen Gruß zwischendurch!